Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft katholische Polizeiseelsorge 23. Mai 2023

Polizeiseelsorge - Schnittstelle zwischen Staat und Kirche

Ellen Amman geborene Sundström ist in Stockholm geboren. Sie wollte ursprünglich ins Kloster. Sie wollte Lehrerin und Nonne werden. Sie hat Heilgymnastik (Physiotherapie würde man heute sagen) studiert.
Sie war gläubig, lebte ihren katholischen Glauben aber heimlich. Konvertieren konnte sie in Schweden nicht, denn sonst hätte sie nicht studieren können.
Sie heiratet den Orthopäden Dr. Ottmar Amman und konvertiert zum katholischen Glauben. Sie lebt mit ihm dann in München.
Sie war sehr kommunikativ und umtriebig. Sie hat sich der Mädchen angenommen, die nach München zur Ausbildung kamen. Sie hat den Mädchenschutzverein (heute invia München) mitbegründet und war dort im Vorstand. Ihr wurde schnell klar, dass man die Mädchen schon am Bahnhof abfangen müsste. So hat sie 1897 die katholische Bahnhofsmission gegründet.
Durch die Bahnhofsmission hatte sie zunehmend Kontakt zu Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen. Ihr nächstes Projekt war die sozial-caritative Frauenschule, die sie anfangs selbst geleitet hat. Leitsatz war: Die Liebe Christi trägt uns. Das war auch ihr persönlicher Leitsatz. Die Frauenschule war der Anfang der katholischen Sozialarbeit.
Ellen Ammann hat dann den katholischen Frauenbund München gegründet. Frauen sollten gebildet werden, um ihr Wahlrecht gut ausüben zu können.
Ellen Amman hatte immer große und gute Unterstützung von ihrem Mann. Ihre Frauenarbeit hat sie neben der Erziehung der sechs Kinder und der Leitung der Hauswirtschaft in der Klinik ihres Mannes gemacht.
Als das möglich wurde hat sie für den bayerischen Landtag kandidiert und wurde (1919) auch gewählt.
Sie war eine Netzwerkerin. Im Staat, aber auch in der Kirche hatte sie viele Kontakte. Mit Kardinal Faulhaber gründete sie 1919 die Vereinigung katholischer Diakoninnen. Am 10. Oktober 1919 haben zunächst sieben Frauen, später noch zwei, in der Privatkapelle des Kardinals ein Gelübde abgelegt, das ähnlich der Diakonenweihe gestaltet war. Die Vereinigung katholischer Diakoninnen ist als Pia Unio heute noch als Säkularinstitut anerkannt. Kardinal Faulhaber sagte: „Zum Schluss erteile ich Ihnen den Segen, den ich ausdrücklich als Sendung für die Diakoninnen aufgefasst wissen will.“

1920 schreibt Ellen Amman einen Brief an den Landtag, in dem sie die Polizeiseelsorge fordert. Ein Seelsorger hatte ehrenamtlich begonnen Seelsorge in der Polizei anzubieten. Das hatte Ellen Ammann erfahren und gefordert, dass das hauptamtlich geschieht.

Nicht das, was wir tun, sondern wie wir es tun, ist das Maßgebende für die Ewigkeit. Ellen Amman zugeschrieben. (stammt ursprünglich wohl aber von Pater Zölestin Schweighofer)


Prof. Dr. Ansgar Hense
Religionsverfassungsrechtliche Gewährleistung der Polizeiseelsorge: heute und in Zukunft.


Prof. Hense, Rechtswissenschaftler, Direktor des staatskirchenrechtlichen Instituts in Bonn, führte zunächst aus, dass man heute eher von Staat und Religion als von Staat und Kirche spricht. Auch eher von religionsverfassungsrechtlichen Fragen als von staatskirchenrechtlichen Fragen.
Die Tendenz der Säkularisierung schreitet weiter voran. Das schließt aber nicht aus, dass es religiöse Bedürfnisse gibt. Die Zahl der Christinnen und Christen ist inzwischen unter 50% gefallen. Die Frage ist, ob das und welche Auswirkungen das hat.
Es stellt sich dann die Grundsatzfrage: Was ist denn überhaupt Seelsorge? Und wer beantwortet die Frage wie. Die religiösen Player sind dazu verpflichtet zu definieren was unter Seelsorge zu verstehen ist. Wir müssen als Kirche auskunftsfähig sein. Der Staat wird dann allerdings eine Plausibilitätskontrolle durchführen.
Es gibt wenig eindeutige staatliche, gesetzliche Bestimmungen zur Polizeiseelsorge. Ein Faktor, warum das so ist, ist die föderale Staatsordnung. Gesetzliche Regelungen sind nach Prof. Hense auch nicht zwingend; Verwaltungsakte sind genauso verbindlich, aber schneller veränderbar.

Im § 141 des Verfassungsrechts ist die Anstaltsseelsorge genannt. Nicht speziell die Polizeiseelsorge. Sie soll die mangelnde Mobilität der berufstätigen Menschen in den verschiedensten Anstalten ausgleichen. (Im Militär, im Gefängnis, im Krankenhaus) Die Regelung soll in diesen Konstellationen seelsorgerliche Betreuung ermöglichen; sie muss aber freiwillig sein. Den Religionsgemeinschaften wird dazu Zugang gewährt.
Polizeiseelsorge unter dem § 141 gilt erst einmal strenggenommen für kasernierte Polizeieinheiten. Die Seelsorge für Polizistinnen und Polizisten kann aber in diesen Paragraphen hineininterpretiert werden.

Vieles lässt sich aus dem Grundsatz der Religionsfreiheit herleiten.
Verträge der Kirchen (es gibt mehr monokonfessionelle Abmachungen) mit dem Bundesland sind deshalb wichtiger und haben große Bedeutung.


Die Verträge sollten öffentlich leicht zugänglich sein; bspw. auf der Homepage.

Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl, theologische Fakultät der Uni Augsburg Ethiklehrstuhl
Nicht ohne Werte – Polizeiseelsorge im 21. Jahrhundert aus theologisch-ethischer Sicht

Zunächst definierte Frau Prof. Schlögl-Flierl Werte. Werte sind geronnene Sinneinsichten. Sie sind etwas, was sich aus dem gemeinsamen Gespräch ausbildet. Die Werte der Polizistinnen und Polizisten und der Seelsorgerinnen und Seelsorger sind nahe beieinander.
Ziel wäre für beide Seiten eine wertebezogene Handlungsorientierung.

Wie soll die Kirche auftreten, oder was ist die Rolle der Kirche? Ist sie wie Hans Joas formuliert hat Moralagentur? Prof. Schlögl-Flierl antwortete mit Karl Rahner: „Die Kirche sollte eine Kirche sein, die mutig und eindeutig die Moral verteidigt, ohne zu moralisieren.“
Durch die Polizeiseelsorge soll und kann die Kirche ein positives Zeichen geben. Sie kann und soll normativer, orientierender Kompass sein und entlastend wirken in kritischer Solidarität.

Werner Schieweck, evangelischer Polizeiseelsorger hat Polizeiseelsorge zu definieren versucht. Er hat wichtige Bereiche benannt:
Die Selbstrücknahme aller kirchlichen Interessen und Absichten in der Seelsorge. Die Anerkennung der Abgründe und Abgründigkeiten im menschlichen Leben.
Gespür für die Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit des Lebens in seelischer, körperlicher oder sozialer Hinsicht.
Einsicht, dass wir unser Leben nicht uns selbst verdanken und unser Können und Vermögen immer wieder an Grenzen stößt. Wissen darum, schuldig werden zu können.
Ahnung bzw. das Vertrauen darauf, dass es trotz aller Widrigkeiten unseres Lebens immer wieder eine Hoffnung für uns und in unserem Leben gibt.


Aus der Beschreibung von Werner Schieweck und anderen Quellen formuliert Prof. Schlögl-Flierl einzelne Werte, um die es geht:
Da sein, nicht-klein oder hübsch-reden, Vulnerabilität (Verletzlichkeit), Verdanktheit, Vorsichtsprinzip, Hoffnungsperspektive, Gerechtigkeit, Anti-Heldentum, Empathie und Aushalten.

Dabei müssen die individualethischen Belange der Polizistinnen und Polizisten berücksichtigt werden.
Die Polizistinnen und Polizisten leisten einen Eid und kommen dabei immer wieder an Grenzen. Manchmal müssen sie diese auch überschreiben. Bspw. gegebenenfalls werde, muss ich einen Menschen töten. Ich darf und ich muss Gewalt anwenden. Ich muss Gewalt aushalten. Ich habe Macht und setze sie ein. Manches macht aus meinem Blickwinkel keinen Sinn; es kommt nicht das Ergebnis heraus, das ich persönlich erwarte, oder gerne hätte.
Wie können auf der Selbstwirksamkeitsebene kleine Dinge verändert, oder eingebracht werden.
Aber es müssen auch organisationsethische Belange der Polizistinnen und Polizisten bedacht werden.
Wie ist die Organisationsstruktur und wie ist die Organisationskultur. Auch die Organisation muss hinterfragt werden (dürfen/können). Die Frage ist wie individualethische Erkenntnisse auf der organisationsethischen Ebene ankommen und Veränderungen bewirken.
Für die Polizeiseelsorge wäre ein Ansatzpunkt und Aufgabenpunkt, die kleinere Einheit, die Person zu stärken, Raum zu geben, dass Dinge thematisiert werden können.

Moral injury als Worst Case
Mormal injury sind tiefgreifende moralische Verletzungen oder Erschütterungen, die im Rahmen von Traumfolgestörungen auftreten können. Sie gehen mit der Erfahrung eines interpersonellen Traumas einher. Moral injury ist Ausdruck eines tiefreifenden Werte- und Normenkonflikts.
Eigenes oder fremdes Handeln/Nichthandeln steht im Widerspruch zum Wert- und Normenbewusstsein des Betroffenen.

Die Polizeiseelsorge bietet einen sicheren Ort solche Dinge, Dissonanzen, Dilemmata anzusprechen, anzuschauen, zu überlegen.

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Barbara Gradl


Prof. Dr. Kerstin Schlögl-Flierl


Prof. Dr. Ansgar Hense

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Spruch des Tages

„Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr.“ Joh 8, 11

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